Betablocker oder Antikonvulsiva? Therapieumstellung bei Nicht-Ansprechen nach 2 oder 3 Monaten? Die Entscheidungen bei einer medikamentösen Prophylaxe der Migräne sind vielfältig – erhalten Sie im Beitrag einen Überblick zu den Optionen sowie zu potenziellen Kontraindikationen.
Welche allgemeinen Empfehlungen sind in der S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ enthalten?
S1-Leitlinie: Allgemeines zur Prophylaxe der Migräne1
- Indikation: ergibt sich aus besonderem Leidensdruck, Einschränkung der Lebensqualität und dem Risiko eines Medikamentenübergebrauchs
- Wirksamkeit: Reduktion der Anfallshäufigkeit von 50 % oder mehr
- Empfehlung: in Kombination mit nicht-medikamentösen Maßnahmen wie z. B. regelmäßiger Ausdauersport und Verhaltenstherapie
Welche Mittel sind wirksam & welche Kontraindikationen bestehen?
Laut S1-Leitlinie besteht für bestimmte Substanzen aus den folgenden 4 pharmakologischen Gruppen eine hohe Evidenz für die prophylaktische Wirkung bei episodischer Migräne: Betablocker, Kalziumantagonisten, Antikonvulsiva und Antidepressiva.1
Als einziges Mittel nur zur Prophylaxe der chronischen Migräne zugelassen ist Onabotulinumtoxin A, während das Antikonvulsivum Topiramat sowohl bei episodischer als auch chronischer Migräne wirksam ist.1 Zudem liegt laut Addendum der S1-Leitlinie für die Gruppe der monoklonalen Antikörper gegen Calcitonin-Gene-Related-Peptide (CGRP) oder den CGRP-Rezeptor eine hohe Evidenz für die Prophylaxe von episodischer sowie chronischer Migräne vor.2
Bei der Entscheidung für eine medikamentöse Prophylaxe sollten Behandelnde u. a. Komorbiditäten der Patient:innen berücksichtigen.
Keine Wirksamkeit – wann ist eine Therapieumstellung nötig?
Bei der prophylaktischen Therapie mit einer der oben genannten Substanzen sollte die angestrebte oder tolerierte Enddosis zunächst erreicht werden. Erst 2 Monate danach sollten Behandelnde ein anderes Mittel wählen, wenn keine Besserung der Migräne eingetreten ist oder sich keine Reduktion der Migränetage um ≥ 50 % gezeigt hat.1
Und wenn die Substanz wirksam ist?
Auch eine erfolgreiche Migräne-Prophylaxe sollte nach 6-12 Monaten geprüft werden: Durch Dosisreduktion und ggf. Absetzen des Mittels können Behandelnde feststellen, ob die Prophylaxe weiterhin notwendig ist.1
Doch wie therapieren, wenn die konventionellen Prophylaktika nicht vertragen werden oder keine Wirksamkeit zeigen? Patient:innen mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat können einen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor erhalten, wenn: mindestens 5 Substanzen aus den 4 oben genannten pharmakologischen Gruppen nicht wirksam waren, nicht vertragen wurden oder wenn gegen deren Einnahme Kontraindikationen oder Warnhinweise bestehen.2
Bei chronischer Migräne empfiehlt die Ergänzung der S1-Leitlinie zur Prophylaxe mit Anti-CGRP-Antikörpern, dass Betroffene zusätzlich nicht auf eine Therapie mit Onabotulinumtoxin A angesprochen haben oder Kontraindikationen vorlagen bzw. Nebenwirkungen auftraten.2
Anti-CGRP-Antikörper: Wie zeigt sich der Therapieerfolg?
Analog zu den bisher verfügbaren Prophylaktika wird die Wirksamkeit von Anti-CGRP-Antikörpern definiert als eine Reduktion der durchschnittlichen monatlichen Kopfschmerztage um ≥ 50 % im Vergleich zur Vorbehandlung über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten.1,2 Zur Dokumentation der Migränetage unter der Therapie mit Anti-CGRP-Antikörpern sowie den bisher verfügbaren Prophylaktika kann ein Kopfschmerzkalender hilfreich sein.
Nach der Ergänzung der S1-Leitlinie kann der Therapieerfolg von Anti-CGRP-Antikörpern alternativ über patientenbezogene Outcome-Messungen definiert werden:2
- 30 %ige Reduzierung des MIDASa-Scores für diejenigen mit Basiswerten über 20
- Reduzierung der Punktezahl beim HIT-6b um mindestens 5 Punkte
a MIDAS: Migraine Disability Assessment
b HIT-6: 6-Punkte-Headache-Impact-Test
Sowohl bei episodischer als auch chronischer Migräne kam es in den jeweiligen Zulassungsstudien unter der Therapie mit den monoklonalen Antikörpern gegen CGRP (Eptinezumab, Fremanezumab, Galcanezumab) und gegen den CGRP-Rezeptor (Erenumab) zu einer Reduktion der monatlichen Migränetage:4
- Episodisch: zwischen 2,9 und 4,7 Tagen**
- Chronisch: zwischen 4,3 und 8,2 Tagen**
** unter Berücksichtigung der zugelassenen Dosierungen
Zudem wurden die Substanzen bei Patient:innen mit chronischer (teilweise auch episodischer) Migräne mit und ohne Kopfschmerz durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (MOH) bzw. Medikamentenübergebrauch (MO) in randomisierten placebokontrollierten Studien hinsichtlich ihrer prophylaktischen Wirksamkeit untersucht.2 Betroffene mit MO haben eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, an Migräne-bedingten Beeinträchtigungen zu leiden.5
Wie lange die Therapie fortführen?
Die Behandlung mit Anti-CGRP-Antikörpern sollte zunächst für 3 Monate erfolgen. Besteht kein befriedigender Therapieeffekt, empfiehlt die Ergänzung der S1-Leitlinie, die Therapie zu beenden. Bei Therapieerfolg empfiehlt die Leitlinie nach insgesamt 9-12 Monaten ebenso wie bei den konventionellen Prophylaktika zu prüfen, ob die Behandlung weiterhin notwendig ist.2
Bei welchen Patient:innen ist Vorsicht geboten?
Kontraindikationen bestehen für den Einsatz von monoklonalen Antikörpern bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile.6-9
Nach der Ergänzung der S1-Leitlinie wird der Einsatz der Antikörper nicht empfohlen bei:2
- Schwangeren und Stillenden, sowie Frauen mit keiner oder keiner ausreichenden Kontrazeption
- Patient:innen mit koronarer Herzerkrankung, ischämischem Insult, Subarachnoidalblutung oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit
- Patient:innen mit entzündlichen Darmerkrankungen, COPD, pulmonaler Hypertension, Morbus Raynaud, Wundheilungsstörungen oder bei Transplantationsempfängern
Bei Betroffenen mit chronischen Vorerkrankungen sollte zurückhaltend vorgegangen werden.