Umweltbedingte Risikofaktoren: Der Einfluss von Kindheitstraumata auf die Entstehung psychischer Erkrankungen

Kindheitstraumata wie z. B. erlebte Kindesmisshandlung sind mit negativen Spätfolgen für die mentale Gesundheit assoziiert1 und stellen einen Risikofaktor für das spätere Auftreten psychischer Erkrankungen dar.1,2 Dabei erhöhen Kindheitstraumata nicht nur das Risiko für z. B. eine Depression1 oder eine Schizophrenie,2 sondern haben auch einen negativen Einfluss auf die Schwere und den Verlauf der Erkrankung.1,3

Eine aktuelle, großangelegte Metaanalyse untersuchte 190 Studien mit insgesamt knapp 70.000 Studienteilnehmern hinsichtlich des Zusammenhangs von Kindheitstraumata und dem Auftreten einer Depression sowie der Symptomschwere im späteren Leben. Die US-amerikanischen Wissenschaftler konnten zeigen, dass höhere Werte für Kindesmisshandlung mit einer späteren Depression (g=1.07; 95 % CI: 0.95–1.19) und höheren Werten für depressive Symptomatik (Z=0.35;95 % CI: 0.32–0.38) einhergehen. Dabei zeigten alle untersuchten Formen der Misshandlung (emotionaler Missbrauch, körperlicher Missbrauch, sexueller Missbrauch, emotionale Vernachlässigung und körperliche Vernachlässigung) einen signifikanten Zusammenhang mit höheren Depressionswerten und einem erhöhten Risiko für die Diagnose einer majoren Depression.1 

Interaktion von Risikofaktoren: Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell

Auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen, wie z.B. der Schizophrenie, nehmen Kindheitstraumata Einfluss auf u.a. das Ersterkrankungsalter, die Symptomschwere, das Auftreten von Komorbiditäten oder den Krankheitsverlauf.3 Die Schizophrenie weist eine hohe Heritabilität auf und so gelang es  in genomweiten Assoziationsstudien, 145 genetische Risiko-Loci, sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen, zu identifizieren. Doch neben diesen genetischen Risikofaktoren spielen auch umweltbedingte Risikofaktoren bei der Entstehung der Schizophrenie eine wichtige Rolle. Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei der Schizophrenie um eine neurobiologische Entwicklungsstörung handelt, bei der die genetische Prädisposition und umweltbedingte Faktoren miteinander interagieren, die Hirnentwicklung Betroffener verändern und so die Symptome der Schizophrenie induzieren.2

Wie genau die verschiedenen Risikofaktoren miteinander interagieren, ist bislang nicht vollständig geklärt. Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell geht davon aus, dass zusätzlich zu einer erhöhten Vulnerabilität auftretender psychosozialer Stress die Symptome einer Schizophrenie triggern kann. Ein in der Kindheit erlebtes Trauma ist eine extreme Form von Stress, wodurch Betroffene vulnerabler für die Entwicklung einer Schizophrenie werden. Als Ursache werden durch das Trauma hervorgerufene Veränderungen des endokrinen Systems sowie epigenetische Mechanismen diskutiert.2

Traumata beeinflussen Erkrankung und Behandlung

Kindheitstraumata beeinflussen jedoch nicht nur das Erkrankungsrisiko, sondern auch die psychotische Störung selbst: So ist erlebte Kindesmisshandlung mit der Schwere, der Persistenz und dem Inhalt von Halluzinationen und Wahnvorstellungen assoziiert. Außerdem erkranken Patienten mit erlebter Misshandlung früher als Patienten ohne solche traumatischen Erfahrungen und weisen ein geringeres soziales und berufliches Funktionsniveau auf, das wiederum mit einem schlechteren Behandlungserfolg assoziiert ist.3

Lange Zeit wurden psychotische Erkrankungen, insbesondere die Schizophrenie, eher als biologisch determiniert angesehen. Psychosozialen Faktoren wie Kindesmisshandlung wurde nur eine geringe Rolle in der Entstehung und Behandlung von Psychosen zugesprochen. Obwohl Kindesmisshandlung bei psychotischen Erkrankungen ebenso prävalent ist wie bei Persönlichkeits- und depressiven Störungen und sogar eine höhere Prävalenz aufweist als bei Angststörungen, wird sie bei psychotischen Patienten weniger wahrgenommen und seltener durch Behandler thematisiert. Die in den letzten Jahren steigende Anzahl an Publikationen zum Zusammenhang von Kindesmisshandlung und Psychosen unterstreicht jedoch die Wichtigkeit desselben. Gleichzeitig wurde genetischen Faktoren in den vergangenen Jahren ein möglicherweise geringerer Einfluss auf die Entstehung von psychotischen Störungen zugesprochen als ursprünglich angenommen. Die Autoren schlussfolgern, dass psychotische Patienten davon profitieren könnten, wenn die erfahrene Kindesmisshandlung Platz in der Behandlung fände. Weitere umfassende Forschung zur psychosozialen Behandlung der Psychose, die auch die Behandlung des Traumas miteinschließt, wird benötigt und stellt einen vielversprechenden Ansatz zur verbesserten Versorgung dieser Patienten dar.3

Referenzen

  1. Humphreys KL et al. Child Abuse Negl 2020;102:104361
  2. Popovic D et al. Front Neurosci 2019;13:274
  3. Thomas S et al. Acta Psychiatr Scand 2019: 140: 295–312