Der 17-jährige Moritz* kann seinen linken Arm nicht mehr heben. Kurz danach fangen die Kopfschmerzen an – was steckt dahinter? Sind diese Symptome einer Migräne mit Aura zuzuordnen? Welche kardiovaskulären Risiken mit diesem Phänomen einhergehen und wie Sie alle 4 Aura-Typen erkennen, erfahren Sie im Beitrag.
Eine Aura tritt bei ca. 15-25 % der Migräne-Betroffenen vor den Kopfschmerzen auf.1 Der zugrundeliegende Mechanismus ist vermutlich die „cortical spreading depression“, eine sich über die Hirnrinde ausbreitende Depolarisation von Nerven- und Gliazellen. Dabei ist der regionale zerebrale Blutfluss in den klinisch betroffenen Bereichen kurz vor oder gleichzeitig mit dem Beginn der Aura-Symptome reduziert.2
Bei einem Großteil der Betroffenen (> 90 %) tritt eine visuelle Aura auf, die sich in Form von Störungen wie z. B. Lichtblitzen oder Gesichtsfelddefekten zeigt.2 Welche weiteren Symptome und Merkmale existieren, die zur Diagnose einer Migräne mit Aura gehören?
Den Kriterien zufolge kann ein Kopfschmerz die Aura begleiten, jedoch muss dies nicht immer der Fall sein. Zudem können Kopfschmerzen ohne Migränecharakter auftreten, welche aufgrund der Aura trotzdem als Migränekopfschmerz einzuordnen sind.2
Mit oder ohne Aura – wie ist das Risiko für Schlaganfälle?
Mehrere Analysen haben ergeben, dass das kardiovaskuläre Risiko bei Migräne-Betroffenen mit Aura erhöht ist.3-5 So fanden z. B. Schürks et al. in einer Metaanalyse von 8 Studien ein höheres Risiko für einen ischämischen Schlaganfall bei Betroffenen mit Aura (relatives Risiko [RR] 2,16; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 1,53-3,03) im Vergleich zu Betroffenen ohne Aura (RR 1,23; 95 %-KI 0,90-1,69).3 Eine ausführliche Diagnose ist demnach essentiell, um auch untypische Symptome einer Aura zu erkennen und infolge das kardiovaskuläre Risiko dieser Patientinnen und Patienten zu bedenken. Welche Symptome verstecken sich nun hinter den 4 Aura-Typen?
Typ 1: Migräne mit typischer Aura
Sylvia K. (35 Jahre)*
„Die ersten Anzeichen für Migräne sind bei mir meist Sternschnuppen und blitzende Lichter. Die sehe ich, egal ob meine Augen offen oder zu sind. Nach etwa einer Stunde habe ich diese Symptome nicht mehr, dafür kommt dann der Kopfschmerz.“
Eine Migräne mit typischer Aura wird definiert durch:2
- Kriterien für eine Migräne mit Aura (s. o.)
- Vollständig reversible visuelle, sensorische und/oder sprachliche Symptome
- Keine motorischen, Hirnstamm- oder retinalen Symptome
Die Migräne mit typischer Aura kann zudem unterteilt werden in: typische Aura ohne/mit Kopfschmerz, je nachdem ob innerhalb von 60 Minuten ein Kopfschmerz mit oder ohne Migränecharakteristik der Aura folgt oder nicht.2
Typ 2: Migräne mit Hirnstammaura
Laurenz P. (58 Jahre)*
„Sehstörungen erlebe ich keine, aber oft pfeift es bei mir im linken Ohr eine Zeit lang bevor die Migräne einsetzt. Zudem höre ich dann schlechter und mein Gleichgewicht fällt manchmal komplett aus.“
Eine Migräne mit Hirnstammaura wird definiert durch:2
- Kriterien für eine Migräne mit Aura (s. o.)
- Mindestens 2 der folgenden vollständig reversiblen Hirnstamm-Symptome: Dysarthrie, Schwindel, Tinnitus, Hypakusis, Diplopie, Ataxie, Bewusstseinsstörung (GCSa ≤ 13)
- Keine motorischen oder retinalen Symptome
a Glasgow Coma Scale
Typ 3: (Familiäre) hemiplegische Migräne
Moritz F. (17 Jahre)*
„Beim ersten Mal bin ich in der Notaufnahme gelandet, weil ich schlecht gesehen habe und zudem eine über 20 Minuten zunehmende Schwäche in der linken Körperseite gemerkt habe. Die Ärzte haben mich schon für die Lysetherapie vorbereitet unter der Annahme einer akuten zerebralen Ischämie – da fingen die starken, einseitigen Kopfschmerzen an. Auch bei meiner Oma kamen solche Attacken anscheinend schon vor.“
Eine hemiplegische Migräne wird definiert durch:2
- Kriterien für eine Migräne mit Aura (s. o.)
- Vollständig reversible motorische Schwäche
- Motorische Symptome halten im Allgemeinen < 72 h an, können jedoch in Einzelfällen über Wochen fortbestehen
- Vollständig reversible visuelle, sensorische und/oder sprachliche Symptome
Für die Diagnose einer familiären hemiplegischen Migräne muss ein Verwandter 1. oder 2. Grades ebenfalls Attacken gehabt haben, die die Kriterien für eine hemiplegische Migräne erfüllen. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich um eine sporadische hemiplegische Migräne.2
Typ 4: Retinale Migräne
Monika T. (45 Jahre)*
„Früher habe ich keine Symptome vor den Kopfschmerzen gehabt. Seit der Menopause tritt jedoch immer eine schleichende Blindheit auf einem Auge auf, ca. 30 Minuten vor der Migräne. Zum Glück kommt meine Sicht schnell wieder.“
Eine retinale Migräne wird definiert durch:2
- Kriterien für eine Migräne mit Aura (s. o.)
- Vollständig reversible monokulare, positive und/oder negative visuelle Phänomene (z. B. Flimmern, Skotome oder Blindheit)
- Mindestens 2 der folgenden Punkte:
- entwickelt sich allmählich über ≥ 5 Min. hinweg
- Symptome halten 5-60 Min. an
- begleitet oder gefolgt (innerhalb von 60 Min.) von Kopfschmerzen
- Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD-3-Diagnose
Da die retinale Migräne eine außerordentlich seltene Ursache einer vorübergehenden monokularen Blindheit ist, sollten andere Ursachen einer Amaurosis fugax ausgeschlossen werden.2 Von einer typischen Aura mit visuellen Symptomen lässt sich die retinale Migräne in der Regel unterscheiden, da bei Ersterem meist beide Augen betroffen sind und bei Zweiterem nur ein Auge.6
Differentialdiagnose: Migräne mit Aura oder Schlaganfall?
Die visuellen Störungen und Muskelschwächen bei Migräne mit Aura können der Symptomatik einer akuten zerebralen Ischämie ähneln. Vorsicht ist v. a. geboten, wenn die Symptome schnell einsetzen und nicht innerhalb einer Stunde wieder abklingen. Auch das Auftreten neuer Symptome, die nicht von früheren Migräneattacken bekannt sind, kann auf eine akute Ischämie hindeuten.7