Von Ansprechen und Remission bis zur vollständigen funktionellen Genesung bei schweren depressiven Störungen: Ist der Patienteneinbezug das fehlende Glied in der Kette?

In einem Symposium gaben drei Experten ihre Sichtweise zu den Grenzen unseres gegenwärtigen Ansatzes bei der Auswahl der Behandlung und der Behandlungsziele wieder und zeigten künftige Richtungen zur Optimierung der Behandlung von Depressionen auf.

Depression ist eine häufige und schwere Krankheit mit heterogenen Symptomen in emotionalen, körperlichen und kognitiven Bereichen. Obwohl eine breite Palette zugelassener Medikamente zur Behandlung schwerer Depressionen zur Verfügung steht, betrachtet sich ein beträchtlicher Anteil der Patienten, die die formalen Kriterien für eine Remission erfüllen, nicht als in Remission befindlich oder erlangt keine funktionelle Genesung. In einem Symposium gaben drei Experten ihre Sichtweise zu den Grenzen unseres gegenwärtigen Ansatzes bei der Auswahl der Behandlung und der Behandlungsziele wieder und zeigten künftige Richtungen zur Optimierung der Behandlung von Depressionen auf.

Über den "durchschnittlichen" Patienten hinaus: Individuelle Patientenprofile als neuer neurowissenschaftlicher Ansatz

Stephen Stahl, Professor an der University of California San Diego, USA, eröffnete das Symposium, und erklärte, dass klinische Leitlinien für die Behandlung von Depressionen auf Meta-Analysen basieren, die typischerweise zu dem Schluss kommen, dass verschiedene Antidepressiva gleich wirksam sind1. Meta-Analysen, so Prof. Stahl, spiegeln jedoch wider, was für einen «durchschnittlichen» Patienten funktioniert; die Symptomprofile vieler Betroffenen repräsentieren diesen «durchschnittlichen» Patienten jedoch nicht.

Er strich das heterogene Symptomspektrum bei Depression hervor, das von Interessenverlust und Müdigkeit bis hin zu Konzentrationsproblemen und Beeinträchtigungen der psychomotorischen Funktion reicht, und legte dar, dass verschiedene pharmakologische Wirkstoffe mit unterschiedlichen spezifischen Zielen sich auf verschiedene klinische Messwerte in den verschiedenen Symptombereichen auswirken können.

Prof. Stahl hob die anhaltende kognitive Beeinträchtigung als häufiges, lähmendes Symptom bei Depressionen hervor2. Während monoaminerge Wirkstoffe hauptsächlich auf stimmungsregulierende Signalwege im Gehirn abzielen, seien bei der Kognition mehrere Neurotransmittersysteme beteiligt, darunter cholinerge, dopaminerge, noradrenerge, histaminerge, GABAerge und glutamaterge Signalwege3,4. Daher, so Prof. Stahl, sollte der spezifische Wirkungsmechanismus eines Agens in Bezug auf das Symptomprofil berücksichtigt werden, um so früh wie möglich die richtige Behandlung für den einzelnen Patienten auswählen zu können.

Metaanalysen spiegeln wider, was für den "durchschnittlichen" Patienten funktioniert; Die Symptomprofile vieler Betroffenen repräsentieren diesen "durchschnittlichen" Patienten jedoch nicht.

Schliessen der Lücke zwischen den Wahrnehmungen von Patienten und Klinikern zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse

Der nachfolgende Redner, Bernhard Baune, Professor an der Universität Münster, Deutschland, zeigte das offensichtliche Paradoxon auf, dass mehr als die Hälfte der Patienten, die die durch die Depressionsskalen-Scores definierten Kriterien für eine Remission erfüllen, sich nicht als in Remission befindlich wahrnehmen2, und dass viele Patienten, die sich in symptomatischer Genesung befinden, weiterhin funktionelle Beeinträchtigungen aufweisen3. Laut Prof. Baune ist die gezielte Behandlung von Stimmungssymptomen daher für die Genesung notwendig, aber nicht ausreichend, da die Patienten selbst ein breiteres Spektrum von Faktoren als wesentlich erachten – darunter die tägliche Funktionsfähigkeit, die Arbeitsfähigkeit und die Lebensqualität2.

Prof. Baune unterstützte seinen Standpunkt mit der Präsentation kürzlich veröffentlichter Daten einer Erhebungsstudie4, aus der hervorging, dass in Remission befindliche Patienten über eine schlechtere Symptomatik in Stimmung, Kognition und körperlichen Bereichen berichteten und sich funktionell stärker beeinträchtigt fühlten als es von den Klinikern wahrgenommen wurde. Kliniker tendierten auch dazu, sich hauptsächlich auf die Linderung von Stimmungssymptomen in der Akutphase zu konzentrieren, während Patienten in allen Phasen einen Bedarf nach Verbesserung sowohl der Stimmung als auch der Funktionsfähigkeit verspürten.

Prof. Baune wies auf die Notwendigkeit hin, diese Lücke zwischen Patienten und Klinikern in der Wahrnehmung von Symptomen und Behandlungszielen zu schliessen, um die Behandlungsergebnisse zu verbessern. Er betonte die Bedeutung einer gemeinsamen Entscheidungsfindung, wobei die Remissionsphase ein besonders kritisches Zeitfenster für die Gewährleistung einer kontinuierlichen Verbesserung und für die Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit darstelle.

Die gezielte Behandlung von Stimmungssymptomen ist für die Genesung notwendig, aber nicht ausreichend, da die Patienten ein breiteres Spektrum von Symptomen und Faktoren als wesentlich erachten, darunter die tägliche Funktionsfähigkeit, die Arbeitsfähigkeit und die Lebensqualität.

Neue Ansätze zur Messung des Behandlungsverlaufs können zur Förderung der funktionellen Genesung beitragen

Roger McIntyre, Professor an der University of Toronto, Kanada, erläuterte die Wichtigkeit des Einbezugs von Patienten bei der Festlegung von Behandlungszielen und wies auf den Wert der von den Patienten berichteten Ergebnisse bei der Bewertung von Therapiezielen und Fortschritten hin. Diese können Bereiche erschliessen, in denen bei der Behandlung von Depressionen noch ungedeckter Bedarf besteht, wie z.B. Lebensqualität und funktionelle Verbesserung, einschliesslich der Arbeitsfunktion.

Prof. McIntyre hob Zielerreichungsskalen (Goal Attainment Scaling, GAS)5 als einen einzigartigen, patientenzentrierten Ansatz zur Einschätzung von Behandlungsfortschritt und -erfolg hervor. Bei der GAS werden die Behandlungsziele auf der Grundlage eines Dialogs zwischen Arzt und Patient vereinbart und umfassen nicht nur die Verbesserung der Stimmungssymptome, sondern auch funktionelle Ziele im Zusammenhang mit den täglichen Aktivitäten und dem Wohlbefinden, wodurch der Schwerpunkt der Behandlung von der symptomatischen Remission bis zur funktionellen Genesung erweitert wird6.

Prof. McIntyre schloss das Symposium, indem er dazu aufrief, alle verschiedenen Komponenten der Depression als Behandlungsziele in Betracht zu ziehen (einschliesslich der kognitiven Symptome, die sich als besonders wichtig für das Funktionieren bei der Arbeit erwiesen haben7), um in der Lage zu sein, die Alltagsfunktionen wiederherzustellen, die Lebensqualität zu verbessern und den Patienten die Rückkehr zu einem sinnvollen und produktiven Leben zu ermöglichen.

Die von Patienten berichteten Ergebnisse sind bei der Beurteilung von Therapiezielen und -fortschritten wertvoll, da sie in der Regel Bereiche erschliessen, in denen bei der Behandlung von Depressionen noch ungedeckter Bedarf besteht.

Die finanzielle Unterstützung für dieses Satelliten-Symposium wurde von H. Lundbeck A/S bereitgestellt.

Die Highlights des Symposiums, die unser Korrespondent hier zusammenfasst, sollen die präsentierten wissenschaftlichen Inhalte objektiv wiedergeben. Die auf dieser Seite geäusserten Ansichten und Meinungen stimmen nicht unbedingt mit denen von Lundbeck überein.

Original-Bericht in "Progress in Mind" (Englisch)

Referenzen

1. Cipriani A et al. Lancet 2018; 391: 1357–1366.

2. Zimmerman M, et al. J Clin Psychiatry. 2012;73(6):790–95

3. Papakostas GI. Am J Manag Care 2009; 15: S316-S321

4. Baune BT, Christensen MC. Front Psychiatry 2019; 10: 335.

5. Kiresuk TJ, Sherman RE. Community Ment Health J 1968; 4: 443–453.

6. McCue M et al. Poster 232 presented at the Psych Congress 2018.

7. Chokka P et al. CNS Spectr 2019; 24: 338–347. 28–31 May, 2019.