Zur Migräneprophylaxe können laut Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Substanzgruppen wie z. B. Betablocker, Antikonvulsiva oder CGRP-Antikörper eingesetzt werden.1 Doch welche nicht-medikamentösen Interventionen könnten ergänzend zur Medikation hilfreich sein?
Achtsamkeit & Akzeptanz: So lässt sich die Lebensqualität verbessern?
Bei der Therapie von chronischen Schmerzen hat sich der Einsatz der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) bereits in mehreren randomisierten kontrollierten Studien als effektiv erwiesen.2,3 Während eine Vermeidung von Triggern bzw. dem Schmerz bei Migräne-Betroffenen oft im Vordergrund steht, dreht sich diese Strategie um die Akzeptanz des Schmerzes. Zudem geht es darum, eigene Gedanken und Gefühle bewusster wahrzunehmen und verstärkt werteorientiert zu handeln.4
Speziell bei Migräne-Erkrankten wurde die ACT in einer randomisierten kontrollierten Studie aus Februar 2021 untersucht:5
• 94 Menschen mit primärem Kopfschmerz (87,35 % mit Migräne-Diagnose)
• 1:1 Randomisierung in Therapie- (ACT-basierte Intervention) und Kontrollgruppe (Warteliste für die ACT)
• Beurteilung hinsichtlich Lebensqualität und Migräne-bedingter Beeinträchtigung vor, direkt nach und 3 Monate nach der ACT In der Therapiegruppe zeigte sich nach 3 Monaten eine klinische Verbesserung der Migräne-bedingten Beeinträchtigung bei 63 % vs. 37 % in der Kontrollgruppe. Auch die Lebensqualität verbesserte sich nach der ACT-Therapie bei 65 %, verglichen mit 35 % der Kontrollen.5 Weitere Daten sind hier jedoch nötig, um den Einsatz von ACT in der Migräneprophylaxe evidenzbasiert zu bewerten.
Reduzierte Migränetage mit Achtsamkeit & Yoga
Ähnlich zur ACT hat die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (mindfulness-based stress reduction, MBSR) in randomisierten Studien einen Effekt auf chronische Schmerzen gezeigt.3 Zusätzlich zur Akzeptanz der Schmerzen kommen bei MBSR Übungen wie Achtsamkeit, Meditation und Yoga hinzu.3
In einer randomisierten, kontrollierten Studie aus März 2021 wurde die Intervention im Vergleich zur Methode der Kopfschmerzedukation bei Migräne-Betroffenen geprüft:6
- 89 Erwachsene, die 4-20 Migränetage im Monat erlebten
- 8 Wochen Gruppenintervention (2 h pro Woche)
- Teilnehmende wurden 1:1 randomisiert zu MBSR oder Kopfschmerzedukation (Unterweisung in Kopfschmerzen, Pathophysiologie, Trigger, Stress und Therapieansätze)
- Beurteilung hinsichtlich Veränderung der Migränefrequenz nach 12 Wochen
In beiden Gruppen zeigte sich eine Reduktion der Migränefrequenz, die sich nicht signifikant unterschied zwischen den 2 Interventionen (MBSR: -1,6 Tage/Monat; 95 %-Konfidenzintervall [KI] -0,7 bis -2,5; Kopfschmerzedukation: -2,0 Tage/Monat; 95 %-KI -1,1 bis -2,9).6 Jedoch führte die MBSR im Vergleich zur Edukation u. a. zu einer signifikanten Verbesserung
- der Migräne-bedingten Beeinträchtigunga (Unterschied zwischen den Gruppen von 5,9; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 2,8-9,0; p < 0,001),
- der Lebensqualitätb (Unterscheid von 5,1; 95 %-KI 1,2-8,9; p = 0,01) sowie
- der Selbstwirksamkeitc (Unterschied von 8,2; 95 %-KI 0,3-16,1; p = 0,04) gegenüber der Baseline.6
a Gemessen anhand des Migraine Disability Assessment (MIDAS)-1 month und des Headache Impact Test-6 (HIT-6)
b Gemessen anhand des Migraine-Specific Quality of Life Questionnaire, version 2.1 (MSQv2.1)
c Gemessen anhand des Headache Management Self-Efficacy Scale
Empfehlungen der S1-Leitlinie
In der Leitlinie der DGN werden ACT und MBSR nicht spezifisch erwähnt, jedoch wird eine allgemeine Empfehlung für die kognitive Verhaltenstherapie zur Prophylaxe der Migräne gegeben.1 Aerobes Training in Form von regelmäßigem Ausdauersport wird hingegen zur Prophylaxe der Migräne empfohlen.1
Aerobes Training beeinflusst die Migränefrequenz positiv
Die Ergebnisse einer Metaanalyse aus dem Jahr 2019 stützen die Empfehlungen der Leitlinie hinsichtlich aerobem Training:7
- Mit 5 randomisierten kontrollierten Studien und 1 kontrollierten klinischen Studie
- Unterschiedliche aerobe Trainingsmethoden je nach Studie:
o 40-45 Min. schnelles Gehen
o Intervallprogramm (Joggen & Gehen) oder kontinuierliches Joggen für 30-45 Min.
o Verhaltensorientiertes Abnehmprogramm (Training und Diät)
o 20 Min. Radfahren bei moderater Intensität - Unterschiedliche Kontrollgruppen je nach Studie:
o Keine Intervention, Behandlung mit Medikation (Amitriptylin oder Topiramat), Edukation, Entspannungstherapie
Die gepoolte Analyse von 4 der 6 Studien (n = 176 Patient:innen) hinsichtlich der Migränefrequenz ergab Folgendes: Nach 10-12 Wochen aerobem Training zeigte sich eine signifikante Reduktion um durchschnittlich 0,6 ± 0,3 Tage/Monat (p = 0,0006). Zudem berichteten 3 der 6 Studien von einer reduzierten Intensität des Schmerzes (zwischen 20 und 54 %) sowie Dauer der Migräneattacke (zwischen 20 und 27 %).7
Laut Leitlinie der DGN bleibt zu untersuchen, ob die Effekte des Ausdauersports auf die Migräne durch die verbesserte physische Leistungsfähigkeit vermittelt werden, oder eine unspezifische Wirkung, z. B. in Form von Entspannung, haben. Zudem scheint Adipositas mit einer höheren Kopfschmerzfrequenz assoziiert zu sein, sodass regelmäßiger Ausdauersport über die Gewichtsabnahme zu einer reduzierten Frequenz führen könnte.1,8
Fazit
Hinsichtlich der ACT bestehen bislang nur Hinweise auf einen Effekt auf die Migräne-bedingte Beeinträchtigung und die Lebensqualität.5 Bei MBSR kam eine aktuelle randomisierte Studie zu dem Ergebnis, dass diese zudem die Migränefrequenz um 1,6 Tage pro Monat senken konnte.6 Für aerobes Training hingegen hat die S1-Leitlinie bereits eine Empfehlung für die Migräne-Prophylaxe ausgesprochen und es zeigte sich in einer Metaanalyse mit 4 Studien eine signifikante Reduktion der Migränefrequenz.1,7