Eine durch Übergebrauch von Akutmedikation verursachte Verschlechterung der Kopfschmerzen ist unter Migränepatient:innen keine Seltenheit. Doch wie kommt es zu einem Übergebrauch, wann entwickelt sich daraus ein Kopfschmerz zurückzuführen auf Medikamentenübergebrauch (MOH) und vor allem: wie lässt sich dieser behandeln bzw. frühzeitig verhindern?
Schmerzmittel: Die versteckte Falle für noch mehr Kopfschmerzen
Mit 193,7 Mio. Packungseinheiten zählten Schmerzmittel 2020 zu den führenden Präparatgruppen im deutschen OTC-Markt.1 Etwa 80 % aller Patient:innen mit Kopfschmerzen behandeln Kopfschmerzen mit überwiegend verschreibungsfreien Analgetika.2 Jedoch kann ein Zuviel an Schmerzmitteln die Kopfschmerzen auch verschlimmern: In Deutschland betreiben etwa 40-50 % aller Patient:innen mit chronischen Kopfschmerzen einen Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln (Medication Overuse, MO), um eine Linderung der Schmerzen zu erfahren.2,3 Verschlechtern sich dabei die Kopfschmerzen trotz Einnahme der Akutmedikation, spricht man von einem sogenannten Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerz (Medication Overuse Headache, MOH).3
MO oder MOH: Was steckt dahinter?
Eine übermäßige Einnahme von Akutmedikamenten gegen Migräne oder Kopfschmerzen kann zu einer Zunahme der Kopfschmerzhäufigkeit führen und den Übergang von episodischen zu chronischen Kopfschmerzen ebnen.3 Man unterscheidet hierbei zwischen einer zu häufigen Einnahme von Akutmedikation (MO), bei dem die in der Abb. 1 genannten Grenzen überschritten sind, und einem Kopfschmerz verursacht durch Medikamentenübergebrauch (MOH). Letzterer ist nach ICHD-3 definiert als Kopfschmerz, welcher an ≥ 15 Tagen im Monat auftritt und mit der Einnahme von spezifischer Migräneakutmedikation (Triptane, Mutterkornalkaloide), analgetischen Mischpräparaten an 10 oder mehr Tagen im Monat oder einfachen Analgetika an 15 oder mehr Tagen im Monat über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten einhergeht.3
MOH behandeln – aber wie?
Es existieren drei Therapiesäulen, die bei der Behandlung des MOH eine Rolle spielen und empfohlen werden.
- Edukation Die Edukation ist im Rahmen eines patientenzentrierten Therapieansatzes ein wichtiger Bestandteil der MOH-Behandlung.7 Patient:innen mit MOH sollten laut Empfehlungen der European Academy of Neurology (EAN) über die Beziehung zwischen häufiger Einnahme von akuter Kopfschmerzmedikation und Chronifizierung der Kopfschmerzen aufgeklärt werden. Das Ziel sollte hierbei sein, die Einnahme von Akutmedikation zu reduzieren.3 Studien zeigen, dass Beratungsgespräche und Informationsmaterialien wie Broschüren helfen können, über diesen möglichen Zusammenhang zwischen der häufigen Einnahme von Schmerzmitteln und dem Übergang von episodischem zu chronischem Kopfschmerz aufzuklären und so einem MOH vorzubeugen.8
- Medikamentenpause Bei Patient:innen, bei denen Aufklärungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, empfiehlt die Leitlinie zu MOH eine Medikamentenpause Die Medikamentenpause sollte entweder ambulant, tagesklinisch oder stationär durchgeführt werden.3,7 Eine Kopfschmerzanamnese kann bei der Auswahl dieses Settings helfen.7 Bei Patient:innen, die zu viele einfache Analgetika, Ergotika oder Triptane einnehmen, kann die Medikamenteneinnahme abrupt beendet oder eingeschränkt werden. Bei Patient:innen mit langjährigem Missbrauch von Opioiden, Barbituraten oder Beruhigungsmitteln ist ein langsames Absetzen dieser Medikamente empfohlen.7 Neben einer Reduzierung der Kopfschmerztage kann das Absetzen von Akutmedikamenten mit einer Verbesserung verschiedener Faktoren verbunden sein. Hierzu können beispielsweise eine Steigerung der Lebensqualität oder die Reduzierung von Depression und Angstzuständen gehören.7 Es wird empfohlen, dass Patient:innen das Programm erhalten, welches für ihren klinischen Zustand und das jeweils übermäßig verwendete Medikament angemessen ist. Eine begleitende Prophylaxe wird empfohlen.7
- Prophylaxe Einen weiteren Ansatz in der MOH-Therapie stellt die Prophylaxe dar. Diese ist auf den zugrundliegenden primären Kopfschmerz ausgerichtet. Die Leitlinien empfehlen bei Patient:innen mit MOH eine medikamentöse Prophylaxe.3 Weiterhin wird empfohlen, in der klinischen Praxis vor Beginn der Behandlung mit diesen Prophylaktika darauf hinzuweisen, den Übergebrauch der Akutmedikation zu beenden.7 Der Therapieansatz zur Migräneprophylaxe sollte dabei patientenzentriert sein, d.h. die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen in den Mittelpunkt stellen. Dies bedeutet, dass vor allem Faktoren wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Beruf und andere persönliche Lebensumstände der Betroffenen berücksichtigt werden. Darüber hinaus soll Wert darauf gelegt werden, dass Patient:innen lernen, wie sie im Alltag mit ihrer Migräne umgehen können.9 Sollte eine Prophylaxe nicht anschlagen, wird eine Medikamentenpause empfohlen.
Kombiniert zur erfolgreichen MOH-Therapie?
Wie die drei Säulen der MOH-Therapie miteinander kombiniert werden müssen, um den größten Therapieerfolg zu erreichen, ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Ergebnisse einer Vergleichsstudie zeigen, dass sowohl der Entzug in Kombination mit einer Prophylaxe als auch die alleinige Prophylaxe oder ein alleiniger Entzug wirksam sein können.10 Bei einem kombinierten Ansatz sehen die Autorinnen der Studie größere Chancen, einen MOH in den Griff zu bekommen.10 Allerdings ist eine konsequente Edukation und weitere, enge Betreuung der Patient:innen wichtig, um das Risiko eines Rückfalls zu reduzieren.3